- Friedensnobelpreis 1998: John Hume — David Trimble
- Friedensnobelpreis 1998: John Hume — David TrimbleDie Politiker wurden für ihre Bemühungen um eine friedliche Lösung des Nordirland-Konflikts und als Wegbereiter des Friedensabkommens von Stormont gewürdigt.BiografienJohn Hume, * Londonderry 18. 1. 1937; 1970 Mitbegründer, ab 1979 Vorsitzender der Social Democratic and Labour Party (SDLP), 1983 Wahl ins britische Unterhaus, 1998-2000 Mitglied des nordirischen Regionalparlaments.David Trimble, * Bangor (bei Belfast) 15. 10. 1944; 1968 nach dem Studium der Rechtswissenschaften Dozent an der Universität von Belfast, ab 1973 Mitglied und Aktivist verschiedener radikal-protestantischer Parteien und Organisationen wie der Ulster Unionist Party (UUP), des Oranierordens oder des Ulster Clubs, 1990 Wahl ins britische Unterhaus, ab 1995 Vorsitzender der UUP, 1998/99 Erster Minister von Nordirland.Würdigung der preisgekrönten LeistungDas »Karfreitags-« oder »Stormont-Abkommen«, auf das sich Professor Francis Sejersted, Vorsitzender des norwegischen Nobelkomitees, in seiner Festrede anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an John Hume und David Trimble bezog, wurde am Karfreitag, dem 10. April 1998, auf Stormont Castle bei Belfast unterzeichnet. »Am Karfreitag dieses Jahres ist ein Abkommen unterzeichnet worden, das zu Recht als Durchbruch bei den Bemühungen um eine friedliche Lösung des lang andauernden Konflikts in Nordirland angesehen wird. [...] Seit dem Karfreitag dieses Jahres hat sich die Situation geändert. Der schlimme Kreislauf der Gewalt wurde unterbrochen. Jetzt hat der Friedensprozess einen eigenen Impuls entwickelt, der die Rückkehr zu den früheren Zeiten des Terrors unwahrscheinlich macht. ..« Und es stellt in der Tat einen Meilenstein auf dem langen Weg zur Aussöhnung zwischen den verfeindeten Bevölkerungsgruppen in dem 1920 vom übrigen Irland getrennten Landesteil dar. Erstmals setzten sich die führenden politischen Vertreter der protestantischen »Loyalisten« oder »Unionisten« und der katholischen »Nationalisten« mit den Premierministern von Großbritannien und der Republik Irland, Tony Blair und Bertie Ahern, an einen Tisch, um eine Friedensvereinbarung auszuhandeln und zu beschließen.1976 waren Betty Williams und Mairéad Corrigan für ihre Bemühungen um ein friedliches Mit- und Nebeneinander von Protestanten und Katholiken in Nordirland mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Doch die »Friedensleute« hatten wenig bewirken können. Der Terror katholischer und protestantischer Untergrundorganisationen setzte sich fort. Versuche der britischen Regierung, den Terror durch hartes militärisches Eingreifen einzudämmem, waren ebenso erfolglos wie der Weg über politische und soziale Reformen. Erst Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre, als zehntausende von Menschen bei Friedenskundgebungen ein Ende der Gewalt forderten, kam der Friedensprozess allmählich in Gang — nachdem in 30 Bürgerkriegsjahren mehr als 3000 Menschen getötet und zahllose verletzt worden waren.Kompromisse für den FriedenDen Anfang bildete das Eingeständnis der britischen Regierung, dass mit allen Beteiligten verhandelt werden müsse, also auch mit der Sinn Féin, dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), und der IRA selbst. Die Republik Irland erklärte sich ihrerseits bereit, die Zugehörigkeit Nordirlands zu Großbritannien anzuerkennen, falls sich die Bevölkerungsmehrheit dort dafür entschied. Für diesen in der so genannten »Nordirland-Erklärung« vorgezeichneten Weg der Kompromisse mussten die verfeindeten Parteien erst einmal gewonnen werden. Dafür haben sich John Hume und David Trimble jeweils auf ihrer Seite eingesetzt. Hume, Vorsitzender der gemäßigt-nationalistischen Social Democratic and Labour Party (SDLP), stimmte seine Friedensstrategie mit Gerry Adams, dem Vorsitzenden der Sinn Féin, ab. Trimble, einer der Köpfe der Ulster Unionist Party (UUP), versuchte, seine Partei und noch mehr die paramilitärischen Gruppen der protestantischen Mehrheit auf den neuen Weg zu führen. Beide hatten dabei erhebliche Widerstände innerhalb ihrer Parteien zu überwinden, konnten aber schließlich die Grundlagen für die ersten Friedensgespräche schaffen, die im Herbst 1997 in Belfast begannen und im Frühjahr 1998 mit dem »Karfreitagsabkommen« abgeschlossen wurden. John Hume gilt dabei als die aus christlicher Gesinnung treibende Kraft, David Trimble dagegen eher als der clevere »Fuchs«, der die Zeichen der Zeit erkannte und im Gegensatz zu früher auf eine gemäßigtere Linie umschwenkte. Aus welchen Beweggründen sie auch immer handelten: Ohne das Vertrauen, das sie beim Gegner gewannen, und ohne die Überzeugungsarbeit, die sie in den Reihen ihrer eigenen Parteien leisteten, hätten wohl nie Friedensgespräche stattgefunden.Verhärtete FrontenDas »Karfreitagsabkommen« soll Nordirland mehr Eigenständigkeit und der nordirischen katholischen Bevölkerungsminderheit die Teilnahme am politischen Leben garantieren. Dazu sieht es die Einrichtung eines Regionalparlaments, einer Regionalregierung und eines so genannten Nord-Süd-Rats vor, der für die Beziehungen zwischen Nordirland und der Republik Irland zuständig ist. Großbritannien gewährt Nordirland mehr Autonomie, die Republik Irland gibt im Gegenzug ihren Souveränitätsanspruch auf die gesamte Insel auf. Beide Staaten sichern zu, dass die Nordiren über die endgültige staatliche Zugehörigkeit durch eine Volksabstimmung entscheiden können — Vereinbarungen, denen eine überwältigende Mehrheit aller Iren in einem Referendum im Mai 1998 zustimmte.Zunächst verlief die Umsetzung des Abkommens planmäßig. Die Abgeordneten des Regionalparlaments wurden gewählt. Doch schon bei der Regierungsbildung gab es große Probleme: Die Unionisten verweigerten der Sinn Féin die im Abkommen zugesagten Ministerämter, weil die IRA noch nicht damit begonnen hatte, ihre Waffen abzugeben. Die IRA ihrerseits verweigerte die sofortige Entwaffnung, da dieser Punkt im »Karfreitagsabkommen« nicht oder zumindest nicht als Voraussetzung für die Regierungsbeteiligung vorgesehen war.In der Tat weist das Abkommen in diesem für den Friedensprozess wichtigen Punkt große Schwächen auf, die auch durch den Einsatz der beiden Friedensnobelpreisträger bisher nicht ausgeglichen werden konnten. Zwar wurde Ende November 1999 die Regionalregierung mit David Trimble als Regierungschef endlich gebildet und erhielt von Großbritannien die im Abkommen zugesagten Autonomierechte, doch bald geriet der Friedensprozess erneut in eine Krise, weil weder die katholischen noch die protestantischen Untergrundorganisationen mit der Entwaffnung begonnen hatten. Nachdem mehrere Aufrufe zur Entwaffnung ignoriert wurden, löste die britische Regierung schließlich Regionalparlament und -regierung auf und unterstellte Nordirland im Februar 2000 wieder kurzfristig direkt der britischen Regierung. Erst nachdem Trimble im Sommer 2001 von seinem Amt als erster Minister zurückgetreten war und damit das Scheitern des Friedensprozesses zum Greifen nahe schien, willigte die IRA im Oktober 2001 in ihre kontrollierte Entwaffnung ein und verhinderte damit den endgültigen Zerfall der Allparteienregierung. Im November 2001 wurde Trimble erneut zum Regierungschef gewählt. Dennoch kommt es auch weiterhin immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken sowie zu Terroranschlägen verschiedenster Splittergruppen.P. Göbel
Universal-Lexikon. 2012.